“Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Ich liebe meinen Freund, wir haben viele Gemeinsamkeiten, unser gemeinsamer Alltag funktioniert gut. Aber es gibt da diese Bereiche in unserer Beziehung, bei denen ich mir wirklich unsicher bin. Er ist total unsportlich, und wir streiten uns immer häufiger wegen seiner Beziehung zu seinen Eltern. Ich fühle mich da nicht genug unterstützt! Daher frage ich mich immer häufiger: Soll ich mich trennen?”
Lena kommt aufgelöst in die erste Sitzung. Ihre Unsicherheit in der Beziehung belastet sie stark. Viele Menschen kämpfen wie Lena mit Beziehungszweifeln. Daher erfährst du in diesem Blogpost, wieso es so schwer ist, diese Entscheidung zu treffen, welche nächsten Schritte dir Klarheit geben können und wie du mit den Zweifeln umgehen kannst.
Ursache der Zweifel verstehen
Beziehungszweifel sind völlig normal, besonders in längeren Beziehungen. Doch wenn sie länger andauern oder dich belasten, lohnt sich ein genauerer Blick: Was wollen dir diese Zweifel sagen?
Warum dir das Loslassen so schwer fällt - Kognitive Verzerrungen verstehen
Viele Menschen bleiben in Beziehungen, obwohl sie unzufrieden sind. Wieso ist das so? Es gibt verschiedene kognitive Verzerrungen, die es dir erschweren, dich zu trennen, und die dich in der Beziehung halten. Diese Verzerrungen haben tiefere psychologische und evolutionäre Ursachen.
- Bindung sichert unser Überleben und unsere sozialen Bedürfnisse: Aus evolutionärer Sicht brauchen wir Beziehungen für unser Überleben. Romantische Beziehungen sind auch wichtig für den Fortbestand unserer Spezies. Daher reagiert unser Gehirn immer noch mit Gefahr darauf, wenn es droht, diese Bindung zu verlieren.
- Schmerz vermeiden: Unser Gehirn ist darauf programmiert, Schmerzen zu vermeiden. Eine Trennung geht meist mit hohen emotionalen Kosten einher und davor will unser Gehirn uns schützen.
- Unsicherheit vermeiden: Alle Menschen haben ein Kontrollbedürfnis, und Unbekanntes löst häufig Angst aus. Unser Gehirn möchte uns daher vor der Unsicherheit durch ein Beziehungs-Aus schützen, denn damit umzugehen, ist herausfordernd.
- Mentale Abkürzungen: Unser Gehirn hat verschiedene Abkürzungen eingerichtet, um Energie zu sparen. Doch bei größeren, wichtigen Entscheidungen kommen sie uns häufig in die Quere.
Wie dein Gehirn dich am Gehen hindert und wie du trotzdem zu einer Entscheidung kommst
Ich möchte dir drei kognitive Verzerrungen vorstellen und was du tun kannst, um dennoch zu einer guten Entscheidung zu kommen.
Verzerrung 1: Verlustangst (Loss aversion)
“Ihn zu verlieren, stelle ich mir so schmerzhaft vor. Mein Umfeld sagt mir immer wieder, dass ich eine andere Art von Beziehung verdient habe, aber ich habe große Angst vor dem Schmerz.”
Wir empfinden häufig Verluste schmerzhafter als Gewinne. Anstatt also darauf zu vertrauen, dass du eine erfüllendere Beziehung findest, bleibst du - aus Angst, die Nähe und Gewohnheit zu verlieren.
Was kannst du dagegen tun? Du kannst für dich die Situation neu interpretieren, und dich vor allem darauf konzentrieren, welche Chancen du für deine Zukunft hast. Du kannst dich damit beschäftigen, welche Art von Partner dich in der Gegenwart und Zukunft wirklich glücklich macht, und auch, welche Werte du mit einem Partner teilen möchtest. Dazu kannst du auch diesen Blogartikel zum Thema Werte in der Beziehung klären lesen.
Verzerrung 2: Investierte Kosten (Sunk cost fallacy)
“Wir sind schon seit 10 Jahren zusammen. Ich mag seine Familie, wir wohnen zusammen, eine Trennung würde all das verändern. Wir haben so viele Dinge gemeinsam erlebt, die Studienzeit, und wir haben uns durch schwere Phasen gemeinsam gekämpft.”
Was Lena hier beschreibt, ist die “sunk cost fallacy”: Die Tendenz, bei Dingen zu bleiben, in die wir bereits viel Zeit und Energie, (“versunkene Kosten”), investiert haben. Weil wir also Zeit und Energie in eine Beziehung investiert haben, führt diese Verzerrung dazu, dass wir in der Beziehung bleiben wollen.
Du kannst diese Verzerrung umgehen, indem du dir die Frage stellst: Wenn ich es jetzt neu entscheiden müsste, würde ich dann immer noch entscheiden, diesen Partner zu wählen? Versuche dabei, deinen Blick weg von den Erinnerungen der Vergangenheit, hin zu deinem Zukunfts-Ich zu bringen. Stell dir vor: Bist du in 3, 5 oder 10 Jahren mit dieser Person wirklich glücklich?
Verzerrung 3: Status Quo Bias
“Es ist nicht alles toll, aber immerhin weiß ich, was ich an meinem Partner habe. Was, wenn ich niemanden kennenlerne, mit dem es besser passt?”
Der Status Quo Bias sorgt dafür, dass wir die sichere Gegenwart der unsicheren Zukunft vorziehen. Als Menschen ist Unsicherheit häufig nur schwer tolerierbar. Als Konsequenz ziehen viele die aktuelle Beziehung, auch wenn sie nicht glücklich macht, der Ungewissheit des Single-Seins vor. Dahinter stehen auch Bedürfnisse nach Stabilität, Sicherheit und Kontrolle, die wir alle als Mensch auch haben.
Um dich aus dieser kognitiven Verzerrung zu lösen, kannst du dir folgendes überlegen: Wie wahrscheinlich ist es, dass du in der Beziehung noch glücklich wirst, in Prozent? Wie wahrscheinlich ist es, dass du glücklich werden kannst, wenn du dich trennst und eine neue Beziehung wagst? Auch, wenn du nicht weißt, was in einer neuen Beziehung auf dich zukommt, kannst du meist abschätzen, wie zufrieden du wärst, wenn alles so bleibt wie jetzt.
Beziehungszweifel mit dem Partner besprechen?
Solltest du die Zweifel offen mit deinem Partner besprechen?
Ja - aber mit Feingefühl. Aus meiner Sicht ist es wichtig, ehrlich und vulnerabel über deine Gefühle und Gedanken zu sprechen - dazu gehört auch, deine Zweifel anzusprechen. Wenn du eine Trennung in Erwägung ziehst, ist es nur fair, dass die Person, mit der du in einer Beziehung bist, davon auch Bescheid weiß. Plötzliche und abrupte Trennungen enthalten nämlich zusätzlich zu der sowieso herausfordernden Tatsache, eine Trennung zu verarbeiten, auch noch den Schock über die plötzliche Veränderung. Die Zweifel zu besprechen, gibt euch beiden auch die Möglichkeit, aktiv an eurer Beziehung zu arbeiten. So könnt ihr gemeinsam schauen, was sich verbessern lässt - und ob Veränderung möglich ist.
Allerdings ist es auch wichtig, nicht ständig über die Zweifel zu sprechen. Denn das löst bei der anderen Person auch viel Unsicherheit aus und kann sehr belastend sein. Es ist auch wichtig, dass es noch Momente der Leichtigkeit und Verbindung in eurer Beziehung gibt - gerade, wenn du dir über die Trennung noch nicht sicher bist.
Es ist also wichtig, die Balance zu finden - du solltest Zweifel nicht einfach verschweigen. Dennoch sollte sich nicht jedes eurer Gespräche um die Zweifel drehen, sonst habt ihr gar keine Möglichkeit, eure Beziehung weiter zu gestalten.
Soll ich mich trennen? Dein Dilemma verstehen

Um mehr innere Klarheit für dich zu finden, kannst du diese Übung ausprobieren. Die Übung ist abgeleitet aus der Internal Family Systems (IFS) Therapie bzw. der Übung zu inneren Anteilen. Die Idee der Übung ist es, verschiedene Gedanken und Stimmen in deinem Inneren als “Personen” anzusehen, die sich für ein Treffen versammeln und austauschen.
Um mehr innere Klarheit für dich zu finden, kannst du diese Übung ausprobieren. Die Übung ist abgeleitet aus der Internal Family Systems (IFS) Therapie bzw. der Übung zu inneren Anteilen. Die Idee der Übung ist es, verschiedene Gedanken und Stimmen in deinem Inneren als “Personen” anzusehen, die sich für ein Treffen versammeln und austauschen.
Stelle dir vor, dass die verschiedenen Gedanken in dir einzelne Anteile bzw. Personen sind, die sich an einem Tisch versammeln, um dein Beziehungsproblem zu diskutieren.
Schreibe dafür zunächst alle Anteile auf, so, als wären sie Personen (z.B. Herr Sicherheit, Frau Abenteuer). Lege einen Satz fest, der den Anteil am besten beschreibt, oder den Gedanken am klarsten ausdrückt.
Und stelle den Anteilen dann Fragen:
- Was brauchst du?
- Woher kennst du den Anteil?
- Wann ist der Anteil entstanden? Ist der Anteil ähnlich zu Personen, die du kennst?
- Wie laut oder leise ist der Anteil?
Wenn du als Teamleiter*in deiner inneren Anteile auftrittst - wie kannst du die verschiedenen Bedürfnisse zusammenbringen?
Beispiel von Klientin Lena
Lena ist sich unsicher in ihrer Beziehung. Sie hat als zentrale Anteile Frau Gewohnheit und Frau Abenteuer erkannt.
Frau Abenteuer ist ein Anteil in ihr, der sich noch mehr ausprobieren will - der abenteuerliche Aktivitäten liebt, der aber auch sexuell neugierig ist auf neue Partner. Dieser Anteil ist ziemlich präsent - schon als Kind war Lena sehr abenteuerlustig. Das ist ein wichtiger Anteil für Lena, den sie in der Beziehung zu Tom nicht ganz ausleben kann. Denn Tom hat wenig Lust auf Abenteuer und ist eher ein Gewohnheitsmensch, und außerdem möchte er nur eine monogame Beziehung. Daher ist es ein Anteil, der gegen die Beziehung spricht. Ein weiterer Anteil ist Frau Gewohnheit. Dieser Anteil wünscht sich Stabilität, schätzt den gemeinsamen Alltag mit ihrem Partner und die Routinen, die das Paar hat. Dieser Anteil wünscht sich, dass Lena an der Beziehung festhält und denkt, dass etwas Stabilität ihr gut tut.
Als Teamleiter kann Lena mit beiden Anteilen in Verhandlung treten - Wie könnte sie Abenteuer leben, auch wenn sie nicht alles mit ihrem Freund teilen kann? Wie könnte sie Gewohnheit und Stabilität auch im Falle der Trennung haben?
Zum Beispiel könnte sie darüber nachdenken, wie sie mehr Abenteuer mit ihren Freunden einplanen kann, oder was Abenteuer sind, auf die ihr Freund auch Lust hat. Falls sie sich für die Trennung entscheidet, könnte sie darüber nachdenken, wie sie dennoch die Bedürfnisse nach Stabilität und Gewohnheiten erfüllen kann, z.B. dadurch, dass beginnt, nach einer neuen Wohnung zu suchen, oder sie sich einen Plan für die Wochen nach der Trennung schreibt, welche Freunde und Familienmitglieder sie treffen kann.
Nach der Übung kannst du dich folgendes fragen:
- Welche Lösungsideen sind dir gekommen?
- Welche Ideen, die verschiedenen Bedürfnisse zu erfüllen, hast du bekommen?
- Was ist dir klar geworden?
Soll ich mich trennen? Wie du mit deinen Beziehungszweifeln umgehen kannst
Um für dich zu einer Antwort in dieser Frage zu kommen, ist ein Prozess. Ich beobachte in Sitzungen, dass Klienten mit Beziehungszweifel sich häufig belastet fühlen. Daher möchte ich dir auch ein paar Hilfestellungen geben, wie du mit den belastenden Zweifeln umgehen kannst.
1. Grübelzeit einplanen
Grübelzeit ist eine Übung aus der kognitiven Verhaltenstherapie, um mit belastenden Gedanken und Gefühlen umzugehen. Nimm dir dafür jeden Tag oder ein paar Mal die Woche, je nachdem, wie stark und belastend die Gedanken sind, bewusste Zeit zum “Grübeln”. Sieh es wie einen Termin an, bei dem du deinen Gedanken und Gefühlen vollen Raum geben kannst. Diese bewusste Zeit einzuplanen, kann dabei helfen, dass die Zweifel weniger Raum in deinem normalen Alltag einnehmen.
2. Selbstmitgefühl
Gerade jetzt ist es wichtig, dir wie einer guten Freundin zu begegnen, mit Geduld und Mitgefühl. Du kannst dir Selbstmitgefühl zusprechen, indem du dir z.B. sagst: “Das ist gerade wirklich schwer für mich. Aber ich weiß, dass ich eine gute Entscheidung treffen kann und mir vertrauen kann.” Wenn du mehr darüber lesen möchtest, findest du auch in dem Blogpost hier mehr Informationen dazu.
3. Bewusste Aufmerksamkeitslenkung in die Gegenwart
Um die Zweifelspirale zu durchbrechen, kann es dir auch helfen, dir eine Metapher vorzustellen. Stelle dir vor, dass deine Gedanken wie ein Radiosender sind, den du einstellen bzw. auswählen kannst. Du kannst dich dazu entscheiden, einem störenden Radiosender weniger Beachtung zu schenken, mehr im Hintergrund laufen zu haben.
Eine konkrete Übung, deine Aufmerksamkeit zu verschieben, ist die 5-4-3-2-1- Übung:
Konzentriere dich auf 5 Dinge, die du im Raum sehen kannst, 4 Dinge, die du hören kannst, 3 Dinge, die du fühlen/berühren kannst, 2 Dinge, die du riechen kannst, und etwas, dass du schmecken kannst.
Fazit zu: Soll ich mich trennen?
Diese Entscheidung ist keine Entscheidung, die du leichtfertig treffen kannst. Mit der richtigen Unterstützung und den passenden Übungen kannst du mehr Klarheit und einen hilfreichen Umgang mit den Zweifeln entwickeln.
Möchtest du Unterstützung dabei, eine Entscheidung in der Beziehung zu treffen?
Weitere Ressourcen
In dem Entscheidungsprozess können dir auch die folgenden Blogposts helfen:
- Um dir deinen eigenen Werten bewusst zu werden, kannst du hier noch mehr lesen.
- Hier findest du meine Erfahrungen aus der Paartherapie, wann sich häufig Paare für eine Trennung entscheiden.
- Hier findest du weitere Fragen zur Selbstreflexion, die dir mehr Klarheit bringen können.
Quellen:
Duke, A. (2022). Quit: The power of knowing when to walk away. Portfolio.
Schwartz, R. C. (2021). No bad parts: Healing trauma and restoring wholeness with the Internal Family Systems model. Sounds True.



