Sind deine Gefühle plötzlich weg? Woher das kommt und was du tun kannst

Für eine Zeit warst du glücklich, in deiner Beziehung ist alles recht gut gelaufen - und plötzlich sind deine Gefühle erloschen. Du bist verunsichert und verwundert, und kannst dir nicht so richtig erklären, wieso deine Gefühle auf einmal weg sind. In diesem Blogpost möchte ich verschiedene mögliche Gründe mit dir teilen, die das erklären können, und was du tun kannst, um deine Situation zu verändern. Auf dieser Reise lernst du Julian kennen, der in einer ähnlichen Situation feststeckt. 

Julian ist seit fast 2 Jahren mit Anna zusammen. Seit einigen Monaten plagt ihn folgendes Problem: Seine Gefühle für Anna sind plötzlich weg. Seine Liebesgefühle fühlen sich wie erkaltet an, und Julian ist überrascht und verwirrt. Er sucht weniger die Nähe zu Anna, und distanziert sich mehr von ihr, kann ihr nicht mehr “ich liebe dich” sagen. Er versteht aber nicht so richtig, wieso, und kommt daher in Beratung. 

Es geht vielen Menschen irgendwann im Laufe ihres Lebens wie Julian, und es gibt verschiedene Faktoren und Gründe, die hier eine Rolle spielen könnten, wenn deine Liebesgefühle erloschen sind. In diesem Blogpost schauen wir uns ein paar Faktoren genauer an, um mögliche Lösungswege aufzuzeigen, die Julian gehen kann, um für sich mehr Klarheit zu bekommen. 

Wie realistisch sind deine Beziehungserwartungen? 

Gefühle verändern sich ganz natürlich im Laufe einer Beziehung, einfach, weil so unser Hormonsystem funktioniert. Die Forscherin Helen Fischer hat dazu geforscht, und herausgefunden, dass in der ersten “Verknalltheitsphase” besonders das Hormon Östrogen ausgeschüttet wird, und im weiteren Verlauf der Beziehung, vor allem wenn sich die Beziehung stabiler und sicherer anfühlt, die Hormone Oxytocin und Vasopressin das Zusammensein regulieren. Das bedeutet, dass sich dein Empfinden der Liebe zu deinem Partner von einer anfänglichen Verliebtheit eben verändert, hin zu einer tieferen Liebe, zu mehr Sicherheit und Komfort. Wenn du aber die Erwartung hast, dass deine Gefühle sich immer so anfühlen sollen wie zu Beginn der Beziehung, dann ist das allein aus biologischer Sicht schlicht unmöglich und du programmierst dich für Enttäuschungen. Frage dich daher ehrlich: Was ist meine Erwartung an die Beziehung, und wie realistisch ist diese? Möchtest du noch mehr über die Phasen einer Beziehung lernen? Dann findest du hier mehr Informationen dazu.

Wie zufrieden bist du in der Beziehung? Wie sehr sind deine Bedürfnisse erfüllt?

Zunächst ist es zu diesem Zeitpunkt auch wichtig, dass du deine Beziehung einem kritischen Blick unterziehst und überprüfst, wie zufrieden du in deiner Beziehung bist. Denn vielleicht hast du bisher Bereiche ignoriert, in denen du eigentlich unzufrieden warst, und keinen wirklich ehrlichen Blick auf deine Bedürfnisse geworfen. Wenn deine Bedürfnisse über einen langen Zeitraum unerfüllt sind, kann auch das dazu führen, dass deine Gefühle plötzlich weg sind - quasi als ein inneres Signal dafür, dass in der Beziehung etwas für dich nicht stimmt und du da nochmal genauer hinschauen darfst. Du kannst dir also die folgenden Fragen stellen: 

  • Was sind meine Bedürfnisse in Beziehungen und inwieweit sind diese erfüllt? 
  • Wie glücklich bin ich in meiner Beziehung? 

Wenn Julian ganz ehrlich auf seine Beziehung blickt, dann gibt es schon ein paar Dinge, die ihn stören. Eigentlich würde er lieber mehr Zeit mit Anna verbringen, und er ist etwas gekränkt, dass Anna sich bisher so wenig Zeit für ihn genommen hat. Auch nervt es ihn, wenn Anna manchmal recht spontan Verabredungen absagt. Seine Bedürfnisse nach gemeinsamer Zeit, Aufmerksamkeit und Zuverlässigkeit sind aktuell nicht genug erfüllt. Daher ist er nicht wirklich glücklich in der Beziehung und merkt, dass er manchmal etwas passiv-aggressiv auf Anna reagiert, häufig genervt ist und viel mit den Augen rollt oder nur kurze Antworten gibt, wenn er Anna ihn Dinge fragt.

Bindungsangst - blockieren dich deine Überzeugungen? 

Wichtig ist es außerdem, einmal auf das Thema der Bindungsangst zu blicken, weil auch das dazu führen kann, dass deine Gefühle plötzlich weg sind. Die Psychologin Stefanie Stahl erklärt, dass bei bindungsängstlichen Beziehungen zu Beginn viel Leidenschaft entsteht, wenn man eine Person kennenlernt und versucht zu “gewinnen”. Wenn die Beziehung jedoch fortschreitet und mehr Sicherheit gibt, dann können für Bindungsängstliche viele Zweifel aufkommen und die Liebesgefühle erkalten, weil das Liebesobjekt sicherer ist und die entstehende Nähe schnell als zu viel wahrgenommen wird. Für Menschen mit Bindungsangst werden dabei häufig die Erwartungen des Partners als bedrückend erlebt, der Partner fühlt sich nicht mehr frei und geht dadurch in die Distanz. Es ist quasi ein Kämpfen um Autonomie und den eigenen Raum, viele Bindungsängstliche erleben daher ein Dilemma: entweder können sie in einer Beziehung sein, sich eingeengt fühlen, oder ein freier Mensch als Single sein. Bindungsängstliche bestimmen dabei häufig die Nähe und Distanz in der Beziehung, brauchen viel und regelmäßigen Abstand und Freiräume. Wichtig ist es daher, das eigene innere Programm und die eigene innere Prägung zu verstehen, wenn Bindungsangst ein möglicher Grund für deine ausbleibenden Gefühle ist und du dich in der Beschreibung etwas ertappt gefühlt hast. 

Das kannst du tun:

  1. Überlege dir, was deine inneren Überzeugungen sind. Du kannst besonders Situationen, in denen du dich in der Beziehung unzufrieden gefühlt hast, analysieren und hinschauen: Welche Überzeugung steckt da dahinter? Besonders Überzeugungen wie “ich muss Erwartungen erfüllen” können Hinweise auf Bindungsangst sein. 
  2. Was sind alternative, hilfreiche Überzeugungen? Formuliere ein paar Sätze und schreibe diese für dich auf, und ersetze die Ungünstigen mit den alternativen Überzeugungen, wann immer du merkst, dass diese aktiviert werden.
  3. Selbstbeobachtung: Nehme dir für eine Woche vor, dich jeden Tag zu reflektieren und deinen Alltag auf Momente, in denen deine Überzeugung aktiviert wird, zu überprüfen. Reflektiere dann im Nachhinein, wie du in den Situationen durch deinen neuen Glaubenssatz reagieren hättest können. 

Julian erkennt für sich, dass er Überzeugungen wie “ich muss deine Bedürfnisse erfüllen” und “ich muss deine Erwartungen erfüllen” in sich trägt. Diese Sätze führen dazu, dass er sich in der Beziehung schnell eingeengt fühlt, weil er die Bedürfnisse von Anna als erschlagen wahrnimmt und dann aufgrund seiner Überzeugungen unter Druck gerät, das zu tun, was Anna möchte. Zudem äußert er seine Bedürfnisse wenig und nimmt dadurch zu wenig Raum für sich in der Beziehung, was zu Unzufriedenheit führt. 

Aktive Beziehungsgestaltung als Chance

Ein wichtiger Punkt ist, dass du diese Situation auch als Chance verstehen kannst. Deine ausbleibenden Gefühle können ein wichtiges Aufwach-Signal für dich sein, um deine Beziehung für die Zukunft so zu gestalten, dass du glücklicher darin bist. Daher macht es aus meiner Sicht auch Sinn, das Potenzial deiner Beziehung genauer unter die Lupe zu nehmen und zu schauen, was du da für dich noch verändern kannst. Denn zunächst bist du ja noch in der Beziehung, und daher empfehle ich dir fürs Erste, dich zu fragen, wie du die Beziehung für dich aktuell besser mitgestalten kannst.

Julian hat bisher wenige Themen in seiner Beziehung angesprochen, weil er fest davon überzeugt ist, dass Konflikt gefährlich ist und bedeutet, dass die Beziehung nicht gut funktioniert. Deshalb hat er viele Unzufriedenheiten in sich hineingefressen und oftmals nicht das angesprochen, was ihn stört. Er fängt jetzt an, sich dieser Überzeugung bewusst zu werden, und beginnt, zu lernen, aktiv über seine Bedürfnisse und Gefühle zu sprechen. Er möchte lernen, statt passiv-aggressiv zu sein, aktiv zu kommunizieren und seine Bedürfnisse anzusprechen.

Aufgaben an dich:

Innerlich bist du schon getrennt, äußerlich noch nicht den Schritt gegangen

Vielleicht bist du aber auch schon länger unzufrieden mit der Beziehung, und dir darüber im Klaren, du bist aber noch nicht den Schritt gegangen, dich richtig zu trennen. Also bist du vielleicht innerlich schon “getrennt”, fühlst dich deswegen nicht mehr zu deiner Partnerin hingezogen, hast keine Gefühle mehr für sie, bist aber noch in dieser Beziehung. In der Situation ist es ganz natürlich, dass deine Gefühle erkalten, denn: So bereitest du dich quasi auf die Trennung vor, schöpfst keine aktive Hoffnung mehr für die Beziehung. Du gehst quasi den zweiten Schritt Richtung Trennung (wenn der erste Schritt die Zweifel und die innere Entscheidung sind) und baust einen Schutzpanzer auf, um zukünftig selbst für deine Emotionen und Bedürfnisse zu sorgen. Es ist nun einmal so, dass Menschen sich manchmal in dieser Übergangsphase befinden - das ist für eine Zeit auch okay, wobei es aber wichtig ist, diesen Prozess nicht ewig hinzuziehen, schließlich ist es weder für dich noch für deine Partnerin eine erfüllte Beziehung. Wenn du mehr darüber lesen möchtest, wie du dich trennen kannst, findest du hier einen Blogpost dazu.

Das kannst du in dieser Situation für dich tun:

  1. Verständnis: Es ist nicht einfach, unzufrieden zu sein und sich dann auch wirklich für eine Trennung zu entscheiden. Gib dir daher etwas Zeit, um von einem Schritt auch in den nächsten überzugehen. Es ist okay, dass du gerade in einem “Zwischenzustand” bist, mache dir nicht zu viel Druck, sondern akzeptiere erst einmal deine Situation. 
  2. Hilfe suchen: Wichtig ist es auch, dass du dir professionelle Unterstützung suchst, um dich aus dieser Situation ins Handeln zu bringen. Du musst nicht ewig in diesem Zustand feststecken, und verdienst es auch, weiterzukommen! 
  3. Deine Säulen stärken: eine Beziehung zu verlassen, ist verständlicherweise mit viel Angst verbunden. Daher ist es auch wichtig, das ernst zu nehmen und zu schauen, wie du dein Leben außenherum weiter stärken kannst. Wie zufrieden bist du mit deinen sozialen Kontakten, deiner Arbeit, deinen Hobbies? Gibt es Säulen, die du für dich noch stärken kannst, bevor du irgendwann den Sprung der Trennung wagst? Was brauchst du, um dich noch mehr zu stärken? 

Julian hat in den letzten Wochen begonnen, mehr über seine Bedürfnisse und Gefühle mit Anna zu sprechen. Auch, wenn es am Anfang oft schwierig war und Anna überrascht war, dass ihr Verhalten Julian stört, so war Anna sehr erleichtert darüber, dass die Spannungen und Gereiztheit auf Julians Seite seitdem deutlich abgenommen hat. Denn das hat sie schon belastet und sie wusste nicht so richtig, wieso Julian so angespannt war. Seitdem Anna die ersten Veränderungen gezeigt hat und mehr auf die Bedürfnisse von Julian eingegangen ist, fühlt er sich wohler in der Beziehung und spürt wieder eine tiefere Verbindung zu Anna. Fürs Erste ist Julian daher erleichtert und froh über die Veränderungen in der Beziehung, und er beobachtet für sich weiterhin, wie sich seine Gefühle in der Beziehung verändern. 

Fazit zu Gefühle plötzlich weg - das kannst du tun

Wie du siehst, gibt es verschiedene Gründe für ausbleibende Gefühle und verschiedene Dinge, die du tun kannst, um etwas an der Situation zu ändern. Je nachdem, was du als Grund für deine ausbleibenden Gefühle identifiziert hast, kannst du unterschiedliche Lösungen für dich finden. Ich hoffe, du konntest aus dem Blogpost etwas Inspiration und Anregungen für dich mitnehmen und hast ein paar Ideen bekommen, was deine nächsten Schritte sein können.

Quellen

Fisher, H. E., Aron, A., Mashek, D., Li, H., & Brown, L. L. (2002). Defining the brain systems of lust, romantic attraction, and attachment. Archives of sexual behavior31(5), 413-419.

Stahl, S. (2020). Jein!: Bindungsängste erkennen und bewältigen. Hilfe für Betroffene und deren Partner. Kailash Verlag.

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