Aus dauerhaftem Streit aussteigen lernen

Romantische Beziehungen sind für uns Menschen oft die wichtigsten Beziehungen im Leben. Doch in vielen Beziehungen sind Konflikte und Missverständnisse leider Teil des Alltags geworden, was zur Last von beiden Partnern geht. Da stellt sich die Frage: Sind nur noch Streit und Missverständnisse in Beziehungen wirklich normal? 

Ich möchte mit diesem Blogpost meine Erfahrungen als Paarberaterin mit dir teilen. Dafür werde ich dir mehr darüber erzählen, wieso diese vielen Konflikte auftreten können, und was du und dein Partner tun könnt, um da auch wieder auszusteigen. 

Anna und Luis* sind seit 12 Jahren ein Paar und wohnen gemeinsam. Sie kommen in die Paarberatung und berichten mir, dass sie nur noch Streit und Missverständnisse haben. Sie sind beide sehr frustriert, wobei sich Luis vor allem zurückzieht und Zeit mit Freunden und Arbeitskollegen verbringt, und Anna eher Luis kritisiert und anklagend ist. Ihre Beziehung ist gekennzeichnet von eskalierenden Konflikten, oft reicht schon ein Blick oder ein Satz des einen, sodass ein Streit ausbricht. Das hat zu einer großen Distanz zwischen den beiden geführt.

Anzeichen von anhaltenden Konflikten

Zunächst möchte ich darauf eingehen, was ich bei vielen Paaren beobachte, die zu mir in die Beratung kommen mit dem Problem: “Wir haben nur noch Streit und Missverständnisse.” 

Ständig Streit wegen Kleinigkeiten

Viele Paare, die mit diesem Problem zu mir kommen, streiten sich häufig wegen Kleinigkeiten. Man kann sich das vorstellen wie ein trockener Wald, wo schon ein kleiner Funke ausreichend sein kann, um ein großes Feuer zu entzünden: kleine Missverständnisse führen dazu, dass Konflikte eskalieren und Streits entstehen. 

Streit mit dem Partner eskaliert immer

Ein weiteres Kennzeichen, das mir in meiner Praxis begegnet, ist, dass die Konflikte fast immer eskalieren und Paare die Konflikte nicht stoppen können. Der Streit eskaliert dann, und mitunter schreien sich Paare auch in aller Verzweiflung gegenseitig an. Beide berichten, dass sie nichts tun können, sondern einfach weiter streiten, und nicht aus diesem Teufelskreis herauskommen. Konflikte sind Teil jeder Beziehung, aber wenn sie dauerhaft eskalieren, dann ist das ein alarmierendes Zeichen für die Beziehungsgesundheit. 

Emotionale Distanz

Emotionale Distanz kann sich ganz unterschiedlich zeigen. Manche Paare streiten gar nicht mehr, weil sie zum Beispiel aufgegeben haben, Hoffnung für die Beziehung zu haben. Andere Paare verbringen wenig Zeit miteinander, oder besprechen nur noch das nötigste miteinander. All das sind Anzeichen davon, dass sich zumindest einer emotional aus der Beziehung zurückgezogen hat. 

Mangelnde körperliche Intimität

Manche Paare, die in Konfliktmustern feststecken, sind wenig oder gar nicht zärtlich oder intim miteinander. Denn häufig wünschen sich Paare ein Grundverständnis füreinander, als Basis, um sich intim miteinander zu öffnen. Falls Paare sexuell intim miteinander sind, kann es oft wenig befriedigend sein, wenn ein grundlegendes Vertrauen fehlt, um sexuelle Wünsche miteinander zu besprechen.

Wiederkehrende Muster

Auch immer wiederkehrende Konflikte, als Themen, die nie fertig geklärt werden, sondern immer wieder zu Streit führen, sind ein Zeichen für anhaltende Probleme. Denn scheinbar haben bisherige Lösungsversuche nicht zu den gewünschten Veränderungen geführt. 

Emotionale oder physische Auswirkungen

Dauerhafte Paarkonflikte führen oft dazu, dass die jeweilige körperliche und psychische Gesundheit der Partner darunter leidet. Auswirkungen können zum Beispiel erhöhter Stress, körperliche Schmerzen oder Beschwerden, Schwierigkeiten, einzuschlafen, oder auch psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angsterkrankungen sein. 

Gründe für ständigen Streit und Missverständnisse

Es gibt zahlreiche Gründe dafür, dass Paare in Spiralen von ständigem Streit und Missverständnissen feststecken. Häufige Gründe für ständigen Streit und Missverständnisse sind dabei: 

1. Kommunikationsprobleme

“Wir können einfach nicht kommunizieren.” Viele Paare in der Paarberatung kommen mit diesem Statement zu mir. Doch was meinen Sie damit eigentlich genau? 

Das Problem in der Kommunikation liegt bei diesen Paaren oft darin, dass jeder auf seinem Punkt beharrt und erwartet, dass der jeweils andere den ersten Schritt macht, und sie versteht. Aussagen wie “wegen Kleinigkeiten regst du dich immer auf” oder “Nein, so war das überhaupt nicht, sondern es war so:...” zeigen mir in der Praxis, dass Partner Schwierigkeiten dabei haben, zwei verschiedene Realitäten zu akzeptieren und eher Recht haben wollen, als den Partner zu verstehen. Das Verständnis füreinander fehlt dabei oft. Viele Paare sind anklagend, machen sich gegenseitig Vorwürfe, oder wollen unbedingt Recht behalten. Auch nonverbale Signale - zum Beispiel ein Augenrollen, ein genervtes Aufseufzen, oder hochgezogene Augenbrauen - sind Zeichen dafür, dass die Kommunikation eskaliert ist und ernsthafte Probleme in der Verständigung bestehen. Denn Gestik und Mimik spielen eine sehr wichtige Rolle in der Kommunikation. Wenn du mehr über Paarkommunikation lernen willst, dann lese auch gerne diesen Blogartikel.

Wenn Luis spricht, dann schaut Anna oft genervt weg, denn sie weiß oft schon, was er sagen wird, und möchte ihm ungern zuhören. Sie ist sehr frustriert und fühlt sich wenig verstanden, und unterbricht Luis oft. Luis ist davon überzeugt, dass Anna oft aus einer Mücke einen Elefanten macht und sich weniger aufregen sollte, wenn er zum Beispiel mal vergisst, ihr Bescheid zu sagen, dass er später nach Hause kommt.  


2. Negative Annahmen und unausgesprochene Erwartungen

Gerade, wenn Paare sich in eskalierten Situationen befinden, dann haben meist beide Partner Annahmen über den anderen gemacht. Diese Annahmen können zum Beispiel sein: “Egal, was ich tue, es ist meinem Partner nie genug”, oder: “Mein Partner versteht mich nicht, ich bin ihm nicht wichtig”. Diese Annahmen kannst du dir wie eine Wahrnehmungsbrille vorstellen. Wenn du alles, was dein Partner tut, durch die Brille von “Er versteht mich sowieso nicht”, siehst, dann führt das dazu, dass du dich zurückziehst, gereizt reagierst oder bei dem kleinsten Missverständnis als Beweis dafür nimmst, dass deine Annahme richtig ist. Da wir als Menschen dazu neigen, Informationen zu filtern, um unsere Überzeugungen zu bestätigen, führt das konkret dazu, dass du über die Zeit immer mehr Beweise ansammelst, die dir Recht geben. Das führt dann wiederum zu mehr Distanz, weniger Vertrauen, etc.

Auch Erwartungen an den anderen können zu den beschriebenen Problemen führen. Wenn ich mir zum Beispiel erhoffe, dass mein Partner mich zu seinen gesamten Freizeitaktivitäten mitnimmt, der andere aber andere Meinung hat, kann dies zu Missverständnissen führen. Daher ist ein offenes Gespräch über gegenseitige Erwartungen sehr wichtig und hilfreich. 

Luis erwartet, dass Anna sich flexibel an seine Pläne anpasst und sie zum Beispiel später essen, wenn er einmal einen Termin hat, der länger dauert. Anna ist dagegen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sehr wichtig, und sie ist sehr enttäuscht, wenn Luis die gemeinsamen Essenszeiten nicht einhält. Sie hat für sich verinnerlicht, “ich bin Luis nicht wichtig”, und ist daher oft enttäuscht oder gereizt. Luis hat für sich verinnerlicht, dass er ständig alles falsch macht und es Anna nie Recht machen kann. Diese Überzeugungen führen zu viel Streit und Frustration in ihrer Beziehung.


3. Verletzungen aus der Vergangenheit

Auch Missverständnisse oder Dinge, die dich in der Vergangenheit verletzt haben, können zu den beschriebenen Problemen führen. Denn eine tiefe Enttäuschung kann das Vertrauen in der Beziehung tief erschüttern und zu viel Misstrauen, Groll und Streit führen. Aber auch weniger große Ereignisse, sondern wiederholte, schmerzhafte Situationen können zu den beschriebenen Problemen führen. 

Luis hat Annas Geburtstag vor ein paar Jahren vergessen. Luis war auf einer Konferenz und hat sich für einen Tag nicht bei ihr gemeldet, weil er sehr beschäftigt war und den Geburtstag schlichtweg vergessen hat. Für Anna war das damals sehr schlimm, denn sie hat sich an ihrem Geburtstag sehr allein und wenig unterstützt gefühlt. Sie hat seitdem für sich die Schlussfolgerung gezogen, dass sie sich nicht ganz auf Luis verlassen kann, in den Dingen, die ihr wichtig sind. 


4. Zu wenig Klärung und Verständnis für vergangene Verletzungen

In der Paarberatung finde ich oft, dass es in jeder Beziehung mehrere solcher schmerzhaften Ereignisse gibt, und wenn diese Ereignisse nicht ausreichend nachbesprochen werden, dann fungieren sie als nicht richtig ausgeheilte, emotionale Wunden, die schnell aufreißen können. Jede weitere Geste oder jedes weitere Wort vom Partner kann dann sehr schnell die nicht richtig verheilte, emotionale Wunde aufreißen, sodass sie nie ganz heilt. Daher ist es sehr wichtig, ein Verständnis für diese Ereignisse in der Beziehung zu entwickeln, um sie zu vergeben. 

Anna und Luis haben über das Ereignis nie mehr so richtig gesprochen. Luis hat sich damals bei ihr entschuldigt, für ihn war damit die Sache erledigt. Er wusste nicht, wie sehr Anna immer noch unter dieser Situation leidet. Jedes Mal, wenn Anna darüber sprechen will, lenkt Luis das Gespräch ab, denn es ist ihm sehr unangenehm, dass er sich damals so verhalten hat. Das führt dazu, dass er sich die verletzten Gefühle von Anna nicht anhören kann, und keine gute Aufarbeitung der Situation stattfindet.

nur noch Streit und Missverständnisse


“Wir streiten nur noch, aber lieben uns - was kann man da tun?”

Es gibt verschiedene Ansatzpunkte, an denen ihr ansetzen könnt, wenn ihr etwas an dieser eskalierten Situation ändern wollt. Zunächst gibt es verschiedene Dinge, die ihr kurzfristig ändern könnt. 

Was tun bei nur noch Streit? Wie kann man aus dem negativen Kreislauf aussteigen? 

Kurzfristig die Eskalation stoppen

1. Teufelskreis erkennen 

Wenn ihr gerade in einer Streitsituation feststeckt, dann ist der erste Schritt, dass einer von euch beiden das erkennt. Es kann euch dabei helfen, zum Beispiel auf die Mimik und Gestik zu achten. Verärgerte Gesichtsausdrücke, ein lauter Ton oder eine aggressive Körperhaltung deuten auf eine eskalierte Situation hin. Es reicht schon, wenn einer von euch beiden das bemerkt, um die Situation zu stoppen.

2. Teufelskreis stoppen

Der nächste Schritt ist es dann, ein Stopp-Zeichen zu verwenden, um die eskalierte Situation nicht weiter eskalieren zu lassen. Nach dem Stopp-Zeichen ist es wichtig, den Raum zu verlassen und eine Zeit in getrennten Bereichen zu verbringen. 

3. Pause nehmen, Auszeit, Emotionen verarbeiten

In der Auszeit vom Konflikt ist es wichtig, sich diese Pause auch bewusst zu nehmen. Dafür kann man zum Beispiel einen Spaziergang machen, Sport machen, Musik hören, seine Gedanken und Gefühle aufschreiben. Wichtig ist, sich entweder abzulenken, oder die Emotionen bewusst zu verarbeiten (z.B. durch Tagebuchschreiben, Meditieren, etc.). Möchtest du mehr über getriggerte Reaktionen lernen? Dann findest du hier den Blogpost dazu.

Langfristig Deeskalieren

Um eine harmonische Beziehung zu führen, reicht es natürlich nicht aus, aus hitzigen Konflikten aussteigen zu können. Um eure Beziehung zu stärken, müsst ihr auch an anderen Stellschrauben eurer Beziehung drehen, um ein festeres Fundament aufzubauen. 

4. Aussteigen und Stopp-Signal besprechen 

In einem ruhigen Moment empfehle ich sehr, darüber zu sprechen, wie wichtig diese Auszeiten aus eskalierten Konflikten sind. Wichtig ist dabei, dass ihr euch beide dazu verpflichtet, aus dem Konflikt aussteigen zu wollen. Dabei könnt ihr ein Stopp-Zeichen oder ein Wort ausmachen, und zum Beispiel auch einen Vertrag unterschreiben, um euch daran zu halten. Denn anders geht die kurzfristige Deeskalation leider nicht.

5. Offene Kommunikation

Um euer Beziehungsfundament generell zu stärken, ist es außerdem wichtig, an eurer Kommunikation und Konfliktfähigkeit zu arbeiten. Um die Kommunikation so zu gestalten, dass ihr Verbundenheit und Verletzlichkeit schafft, sind Ich-Botschaften, das Sprechen über Gefühle und Bedürfnisse, und Verletzlichkeit zeigen einige Dinge, die ihr beachten könnt. Vermeidet es, Vorwürfe zu erheben, den Anderen anzuklagen, das Gesagte persönlich zu nehmen oder euch zu verteidigen. Das Ziel ist bei dieser Art der Kommunikation immer, zuzuhören, um zu verstehen. Auch Studien konnten zeigen, dass positive Konfliktlösungsstrategien, wie das Finden von Kompromissen, mit der Beziehungszufriedenheit zusammenhängen. Ein konstruktiver Umgang mit Streit und Konflikten ermöglicht es, offen miteinander zu sprechen und Verletzlichkeit zu zeigen [1]. 

6. Ursachen identifizieren 

Außerdem ist es noch wichtig, die unterliegenden Wurzeln der Konflikte zu erkennen. Vielleicht gibt es zum Beispiel frühere Verletzungen, unausgesprochene Bedürfnisse, andere Wünsche, ungeklärte Konflikte, Wut, viel Groll, etc.? Es ist wichtig, ganz bewusst unter den Teppich zu schauen und die Ursache für die Frustration und Unzufriedenheit mit der Beziehung zu erkennen. 

7. Kompromisse und Lösungen dazu finden

Im nächsten Schritt könnt ihr dann überlegen, wie ihr die Themen, die ihr als Wurzel der Probleme identifiziert habt, lösen könnt. Hier können zum Beispiel Kompromisse für unterschiedliche Bedürfnisse, genaue Absprachen helfen. Hier findest du mehr Informationen dazu, wie Kompromisse in der Beziehung gelingen.

8. Paartherapie

Auch Paartherapie ist eine Möglichkeit, um die Verletzungen, die euch passiert sind, zu bearbeiten. Dabei erhaltet ihr professionelle Unterstützung, um euch genau da zu unterstützen, wo ihr Schwierigkeiten habt. Eine Studie konnte zeigen, dass Unterstützung von außen für Paare sehr hilfreich ist. In einem Trainingsprogramm für Paare, in dem es u.a. um bessere Konfliktlösungsstrategien ging, konnte gezeigt werden, dass Paare nach dem Training und auch noch mehrere Monate später mehr positive Strategien wie aktives Zuhören und weniger negative Strategien wie Rückzug genutzt haben [2]. Es ist also möglich, seine Strategien im Umgang mit Konflikten in der Beziehung zu verbessern! 

9. Einzelberatung

Ein weiterer Ansatzpunkt, um besser mit häufigen Streitsituationen in deiner Beziehung umgehen zu können, ist es, deine eigenen Annahmen, Erwartungen und Erfahrungen mit der Unterstützung von psychologischer Beratung zu reflektieren, und mögliche Veränderungen im Umgang miteinander zu besprechen [3].

Fazit zu nur noch Streit und Missverständnisse 

Streit und Missverständnisse müssen nicht dein Beziehungsalltag sein. Mit den Tipps, die du hier gelernt hast, kannst du anfangen, deine Beziehung zu mehr Verbundenheit und Harmonie zu bringen. Denn jeder hat es verdient, dass die Person, mit der man einen großen Teil seiner Zeit verbringt, Freude, Verbundenheit und eine Bereicherung in das Leben bringt, anstatt von Stress, Frust und Distanz. Also, welchen ersten Schritt möchtest du gehen, hin zu einer erfüllten Beziehung? 

Nimm dir ein paar Minuten Zeit und schreibe dir auf, was du für dich im Artikel gelernt hast und was du mit deinem Partner besprechen willst oder für dich verändern willst.

Möchtest du mit deinem Partner lernen, aus nur noch Streit und Missverständnissen auszusteigen? Dann freue ich mich, euch dabei zu begleiten!

*Anna und Luis sind kein echtes Paar, das bei mir in Beratung ist, sondern ein hypothetischer Fall, der aber ähnlich zu Themen ist, die mir in der Beratung begegnen. Aufgrund der Privatsphäre meiner Klienten verwende ich keine echten Klientenbeispiele.

Quellen

[1] Bertoni, A. M. M., & Bodenmann, G. (2010). Satisfied and dissatisfied couples. European Psychologist, 15(3), 175–184. https://doi.org/10.1027/1016-9040/a000015. 

[2] Neumann, A. P., Wagner, A., & Remor, E. (2018). Couple relationship education program “Living as Partners”: evaluation of effects on marital quality and conflict. Psicologia: Reflexão E Crítica, 31(1). https://doi.org/10.1186/s41155-018-0106-z.

[3] Karantzas, G. C., & Kambouropoulos, N. (2019). The role of attachment avoidance and defensive fight in aggression. Journal of Social and Personal Relationships, 36(5), 1476–1490.

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